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Couchsurfing im Iran / Interview mit Stephan Orth

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‌Ich hatte ja hauptsächlich mit jungen Leuten zu tun. Viele davon waren hoch gebildet, bekommen aber keinen, ihren Qualifikationen angemessenen, Job. Sie können sich nicht entfalten, vermissen Freiheiten und würden gern woanders leben. Das ist ein wahnsinnig verschenktes Kapital und man bekommt es täglich mit, wie diese Menschen ihre Talente einfach nicht ausschöpfen können. Ich hatte das Gefühl, dass dieses Land mit seiner jahrtausendealten Hochkultur unter einer liberaleren Regierung noch eine viel bedeutsamere Rolle im Nahen Osten spielen könnte.

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„Couchsurfing im Iran“

Interview mit Stephan Orth

FM: Farkhondeh Modares

SO: Stephan Orth

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FM: Herr Orth, Ihr Buch „Couchsurfing im Iran“ ist sehr erfolgreich! Eine beachtliche Menge wurde bislang verkauft. Sie haben viele Lesungen gegeben, im Rahmen derer viele Fragen gestellt wurden. Was denken Sie, welchen Eindruck hat ihr Buch bei Ihren deutschen Lesern hinterlassen?

SO: Der Grundeindruck der meisten Leser ist, dass Sie überrascht sind, wie es im Iran zugeht. Sehr viele sagen, sie hätten nicht gedacht, dass man da so reisen und solche Erlebnisse haben kann. Ich beschreibe ja viele Episoden, in denen Menschen auch irgendwie die Regeln brechen, in denen nicht religiöse Menschen vorkommen oder Menschen die sehr kritisch gegenüber dem Staat eingestellt sind. Ich glaube, der Iran ist schon noch ein Land, über das sehr viel Unwissenheit in Deutschland und in Europa generell herrscht.

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FM: Ich habe mit vielen Iranern und auch Deutschen über Ihr Buch gesprochen. Viele kannten das „Couchsurfing“ als Art des Reisens nicht. Könnten Sie unseren Lesern zunächst erklären, worum es sich dabei handelt, was man dabei erleben kann und wie eine solche Reise überhaupt vonstattengeht?

SO: Also, Couchsurfing ist ein Portal im Internet. Dieses Portal gibt es jetzt seit ungefähr 10 Jahren, auf dem Menschen auf der ganzen Welt kostenlos Unterkünfte anbieten können. Im Iran gibt es inzwischen über 20.000 Menschen, die da mitmachen. Das „Couchsurfing“ ist eine ganz tolle Möglichkeit, mit normalen Menschen in Kontakt zu kommen, denn man trifft nicht nur auf Touristenführer oder andere Personen, die professionell mit dem Tourismus zu tun haben und damit Geld verdienen. Ich finde, es macht das Reisen immer wahnsinnig interessant, weil man so an die echten Menschen heranrankommt, welche wirklich aus reiner Herzlichkeit Lust haben, einem ihr Land zu präsentieren.

Ich hatte vor meiner Reise sehr viele Personen angeschrieben und hatte diese über ihre Handynummern kontaktiert. Im Land selber habe ich diese dann über Viber oder per SMS kontaktiert. Ich hatte ca. 22 verschiedene Gastgeber in 2 Monaten. Das war natürlich ein Einblick, den man nicht bekommt, wenn man in einer Gruppe reist oder wenn man nur in Hotels übernachtet. Man kommt viel näher an die Menschen heran.

FM: Abgesehen von dem nahen Kontakt zu den Menschen, welche Besonderheiten hatte das Couchsurfing für Sie speziell im Iran?

SO: Eines der interessantesten Dinge im Iran ist der wahnsinnige Unterschied zwischen dem öffentlichen und dem privaten Leben. Genau das macht eine Reise dorthin so interessant. Das war auch der Fokus für mein Buch: zu sehen wie unterschiedlich es ist, wie die Menschen in der Öffentlichkeit eine Maske tragen und Zuhause ganz anders sind. Genau da kommt man richtig gut ran, wenn man bei den Menschen wohnt und mit ihnen viel Zeit verbringt. Es ist wirklich anders: die geheimen Regelbrüche, Zuhause wird über die Regierung gelästert, da trinken die Leute Alkohol und so weiter. Es ist, als würden wirklich zwei Parallelwelten existieren.

FM: Wussten Sie denn vorher, dass es im Iran so sein wird? Dass gerade dieser Unterschied zwischen der Öffentlichkeit und dem Privatleben im Iran herrscht, und wenn ja woher wussten Sie das?

SO: Ich wusste es. Es war für das Buch schon meine zweite Reise in den Iran. Denn ich war schon einmal im Jahr 2013 für 2 Wochen dort. Dadurch wusste ich, dass es ein Thema ist, das Material für ein ganzes Buch bietet. Daher kannte ich auch diese Unterschiede schon ein bisschen.

2014 habe ich die Idee für mein Buch einem Buchverlag angeboten und die fanden die Idee auch gut. Mein ganzes Wissen kam dadurch zustande, dass ich schon einmal dagewesen war. Aber natürlich hatte ich auch von anderen Reisenden viel über das Land gehört. Jeder, der einmal im Iran war, schwärmt von den Menschen und der Gastfreundlichkeit. Das war auch eine Motivation für mich, dahin zu reisen, denn das wollte ich auch selber kennenlernen.

FM: Als Sie dann selber das erste Mal persönlich bei Ihrer ersten Reise erfahren haben, dass es diesen Unterschied zwischen der Öffentlichkeit und dem Privaten gibt, wie war dieses Erlebnis für Sie als Deutscher? Denn Sie kommen ja aus einem Land, in dem die Menschen ohne Schleier so sei können, wie sie sind. Wie war das aus Ihrer Sicht?

SO: Meine ersten Gastgeber auf meiner ersten Reise war eine Familie, deren Familienvater zu der Zeit gerade nicht Zuhause war. Es waren also nur die Mutter und die Tochter da. Dadurch war es auch schon irgendwie eine verbotene Situation. Doch sie sind ganz locker damit umgegangen. Sie liefen Zuhause auch im T-Shirt herum und natürlich auch ohne Schleier. Sie haben zudem sehr offen kritisch über Politik geredet. Dadurch habe ich sehr schnell einen Eindruck davon bekommen, wie verschieden die Menschen im Privaten sind. Trifft man die gleichen Leute in der Öffentlichkeit, ergibt sich dagegen ein ganz anderes Bild.

FM: Ich komme zurück auf Deutschland. Was meinen Sie, welchen Eindruck hat Ihr Buch auf die Leser hier in Deutschland gemacht. Ist der Iran nach dem Lesen Ihres Buches für die Leser ein interessantes Reiseziel geworden? Oder meinen Sie, dass die Leser immer noch Angst haben und denken, dass es im Iran zu abenteuerlich und gefährlich ist?

SO: Also grundsätzlich wird der Iran sowieso immer interessanter für Touristen. Seit 2 Jahren, also seit Rohani an der Macht ist, steigen die Zahlen ja ganz enorm, auch aus Deutschland. Von daher denke ich, dass das Buch natürlich auch viele anspricht, die sich schon vorher für eine Reise in den Iran interessierten und jetzt gerne noch mehr über das Land wissen wollen, bevor sie sich tatsächlich trauen. Ich kann mir gut vorstellen, dass das Buch manche ermutigt, einfach selber hinzufahren, um einen realistischen Eindruck davon zu bekommen, wie es im Iran wirklich zugeht. Wenn man den Iran nur aus der Tagesschau kennt, bekommt man ein anderes Bild, das vielen vielleicht Angst vor einer Reise in den Iran macht. In den Nachrichten geht es immer um Atombomben, Religiosität und Frauenrechtsprobleme. Das sind alles sehr wichtige Themen, aber nur eine Seite dieses Landes. Als Reisender erlebt man aber oft ganz andere Eindrücke.

FM: Viele Iraner, die in Deutschland leben und der deutschen Sprache mächtig sind, haben Ihr Buch gelesen und haben es als sehr interessant und auch sehr wahrheitsnah empfunden.

Wie Sie wissen, wurden ein paar Auszüge Ihres Buches ins Persische übersetzt. Allerdings haben Sie berichtet, dass Sie mit den Übersetzungen nicht ganz zufrieden bzw. nicht ganz einverstanden sind. Was wurde aus Ihrer Sicht nicht richtig ins Persische übertragen?

SO: Ich habe nur von Iranern, die auch den deutschen Text kennen, gehört, dass in einigen persischen Texten die im Internet im Umlauf sind, stark übertrieben wurde, oder dass da einige Details sehr viel schärfer hervorgehoben wurden. Ich kann es natürlich nicht selber überprüfen, weil ich nicht auf Persisch lesen kann. Aber das habe ich jetzt schon von mehreren gehört, dass es einfach Fehlübersetzungen von Auszügen aus dem Buch gibt, die das ganze extremer klingen lassen, als es vielleicht ist. Vielleicht haben Sie es auch gelesen?

FM: Ja, ich habe auch ein paar Kommentare von Berichterstattern oder Kritikern gelesen. Diese haben den Schwerpunkt auf den Tabubruch im Iran gelegt. Der Fokus dieser Berichte lag auf Szenen aus Ihrem Buch, wie z.B. die Bikiniparty, das Thema mit dem Haschisch rauchen oder dem Alkohol trinken. Diese Szenen findet man ja auch in Ihrem Buch.

SO: Das ist schade. Denn dies macht vielleicht 10 Prozent der Handlung aus, oder sogar weniger als 10 Prozent. Natürlich sind das die Aspekte, die besonders viel diskutiert werden. Das ist auch verständlich. Aber es entsteht leicht ein etwas falscher Eindruck, wenn man so stark den Fokus darauf legt. Natürlich kommen sehr viele Gesetzesbrüche vor. Aber oft sind es dann eher die alltäglichen Dinge, wie z.B. Facebook benutzen, also vielleicht nicht die ganz extremen Dinge. Ich glaube, dass man nur ein richtiges Bild von der ganzen Geschichte bekommt, wenn man das Buch komplett liest und nicht nur die Extremmomente kennt.

SO - FM 21

FM: Ich möchte eine Frage zitieren, die auf eine Ihrer Buchlesungen gestellt wurde: „Haben Sie durch die Veröffentlichung Ihres Buches Ihre Gastgeber im Iran in Gefahr gebracht?“

SO: Dieses Thema hat mich die ganze Zeit sehr beschäftigt. Denn bei einem solchen Projekt ist das Wichtigste, dass den Menschen, über die ich schreibe, nichts passiert. Ich selber bin raus aus dem Land, mir kann hier nicht so viel passieren. Aber die Menschen, um die es geht, könnten Ärger kriegen. Deswegen habe ich natürlich Namen und ein paar Details geändert, um diese zu schützen. Was ich allerdings interessant fand war, dass mich sehr viele Iraner extrem ermutigt haben, einfach alles so zu erzählen, wie es in Ihrem Land tatsächlich passiert; die meinten: „Bitte sage der Welt, wie wir wirklich sind.“

Viele waren selber viel sorgloser als ich, wenn es um ihre richtigen Namen oder um Fotos ging. Das hat mich überrascht.

FM: Also ist den Couchsurfern diese Gefahr im Iran bewusst und die Frage, ob Sie Ihre Gastgeber durch die Veröffentlichung in Gefahr bringen, stellt sich nicht mehr?

SO: Ja genau, ich habe allen Gastgebern gesagt, dass ich an einem Buch arbeite. Das wussten sie und sie wussten auch, dass sie darin vorkommen. Ich habe mit offenen Karten gespielt.

FM: Was meinen Sie, warum so viele junge Iraner an solchen Kontakten und Verbindungen interessiert sind?

SO: Ich glaube, dass es eine große Isolation gibt, gerade unter jungen Menschen, so dass es tatsächlich noch etwas Besonderes ist, jemand im gleichen Alter aus einem westlichen Land zu treffen. In Isfahan oder Teheran ist es vielleicht nicht ganz so extrem. Die meisten Touristen sind ja eher ältere Kulturreisende. Gerade deswegen sticht man in manchen Regionen schon heraus, wenn man eher um die Dreißig ist. Da hat man den Eindruck, dass sie den Kontakt noch einmal besonders interessant finden. Was mir auffiel, ist wie extrem interessiert die Iraner an Europa und an meiner Meinung zur Politik waren. Es kamen oft sehr intelligente Fragen und es gab wenig kurzen Small Talk. Ich wurde gefragt, „Wie ist Merkel?“, „Wie ist Putin?“, „Wie ist das Verhältnis zwischen Frankreich und Deutschland?“. Dann musste ich auf einmal Stellung beziehen zu solch großen politischen Themen. Das fand ich sehr interessant. Dies ist auch ein Unterschied zu anderen Reiseländern, in denen ich war. Auch dass sie teilweise die deutsche Kultur kennen oder dass dann einer Goethe zitiert, auf Deutsch. Da ist man immer wieder überrascht, welche Art von Konversationen man dort hat und wie groß das Interesse dort ist. In Europa wissen wir weniger über den Iran, als die Iraner über Europa. Das ist ein Ungleichgewicht.

FM: Ja, aber die Iraner brauchen dieses Wissen.

SO: Ja natürlich, sie gucken Hollywood-Filme und sie konsumieren heimlich ganz viele westliche Medien, hören die Musik aus Amerika oder aus Europa und natürlich wollen sie dann mehr und mehr wissen über diese Länder.

FM: Sie haben in Ihrem Buch geschrieben und auch auf Ihrer Buchlesung betont, dass der Iran Sie einerseits sehr fasziniert, andererseits aber auch sehr wütend macht. Woher kommen diese widersprüchlichen Gefühle?

SO: Es fasziniert mich weil es einfach so viel zu bieten hat: die Freundlichkeit der Menschen, die Herzlichkeit, die Gastfreundschaft, die Sehenswürdigkeiten. Es gibt die tollste Architektur, Wüstenlandschaften und Berge. Dieses Land hat einfach alles, was man braucht, um sehr viele Touristen anzulocken. Gleichzeitig gibt es aber eine Regierung, die das Volk unterdrückt und ihm wenige Freiheiten lässt. Eine Regierung, die solch ein Potential verschenkt. Ich hatte ja hauptsächlich mit jungen Leuten zu tun. Viele davon waren hoch gebildet, bekommen aber keinen, ihren Qualifikationen angemessenen, Job. Sie können sich nicht entfalten, vermissen Freiheiten und würden gern woanders leben. Das ist ein wahnsinnig verschenktes Kapital und man bekommt es täglich mit, wie diese Menschen ihre Talente einfach nicht ausschöpfen können. Ich hatte das Gefühl, dass dieses Land mit seiner jahrtausendealten Hochkultur unter einer liberaleren Regierung noch eine viel bedeutsamere Rolle im Nahen Osten spielen könnte.

FM: Welchen Hauptunterschied sehen Sie zwischen den Menschen Ihrer Generation im Iran und in Europa bzw. in Deutschland.

SO: Also, für mich war es zunächst sehr auffällig, dass wir uns viel ähnlicher sind, als wir denken, gerade im Hinblick auf die Gespräche, die ich hatte. Auf Reisen nach Asien oder Südamerika hatte ich teilweise das Gefühl, dass der Unterschied der Kulturen größer ist als zum Iran. Das ist auch eine Erfahrung, die man als Reisender im Iran sehr schnell macht. Interessant ist auch ein Vergleich zu Saudi-Arabien: Der Westen betreibt dort sehr viel Handel, investiert wahnsinnig viel Geld und pflegt ein gutes Verhältnis. Aber trotzdem glaube ich, dass es von der Breite der Bevölkerung und kulturell viel weiter weg von West-Europa ist als der Iran. Die Parallelen in der Kultur zwischen dem Iran und Westeuropa sind viel größer. Es ist halt nur unter der jetzigen Regierung bislang nicht möglich, einen engeren Kontakt zu haben.

Aber noch einmal zu den Unterschieden: was natürlich auffällt, ist eine Frustration die ich, aufgrund der fehlenden Freiheiten, sah oder auch der Wunsch, das Land zu verlassen oder nach einem freien Leben, also manchmal so ganz einfache Wünsche. Einer hat mir fast unter Tränen erzählt, dass er einfach mal nur in eine Bar gehen und seiner Freundin einen Cocktail ausgeben will. Er fragte noch, ob diese kleinen Wünsche denn zu viel verlangt seien? Dass man dort so sehr unter den fehlenden Freiheiten leidet, ist definitiv ein großer Unterschied. Ansonsten habe ich mich oft gefragt, ob die Menschen hier oder dort fröhlicher sind. In Deutschland, einem gesättigtem Land, wo es allen gut geht, gibt es andere Probleme. Man hat alle Möglichkeiten, trotzdem bekommen manche Depressionen, weil sie trotzdem nicht so richtig wissen, was sie mit ihrem Leben anfangen sollen. Teilweise hatte ich in manchen Ländern das Gefühl, dass die Menschen positiver eingestellt sind als in Deutschland, wo man immer sehr kritisch ist und Kleinigkeiten kritisiert. Dabei hat man bei uns wenige richtig existenzielle Probleme.

FM: Wie sind Sie überhaupt auf den Iran als Reiseziel gekommen?

 SO: Ich rede ganz viel mit anderen Leuten, die viel reisen. Jedes Mal, wenn ich jemand getroffen habe, der im Iran war, hat derjenige mir davon in den höchsten Tönen vorgeschwärmt. Man trifft niemanden, der da war und den das kalt lässt; der nicht von diesen Menschen und von dieser Gastfreundschaft schwärmt. Ich habe eine lange Liste von Ländern, in die ich reisen will. Der Iran ist durch diese Erzählungen immer weiter nach oben gerutscht.

FM: Wie war denn das Echo beim Spiegel? Wenn ich das hinzufügen darf, der Spiegel gehört ja auch zu diesen „Tagesthemenmedien“. Denn wenn man im Spiegel über den Iran liest, ist das doch schon recht „einseitig“.

SO: Ich finde, das kann man nicht so pauschal sagen. Letztens war von Erich Follath ein sehr differenzierter Artikel zu lesen. Zumindest hat er sehr gut abgebildet, wie es da jetzt aussieht.

FM: Das ist dann aber neu? Denn zumindest berichtet der Politikteil über den Iran doch eher so, wie Sie die Nachrichten über den Iran generell beschrieben haben.

SO: Genau, es liegt aber auch an dem Fokus „Was ist eine Nachricht und was nicht“. So funktioniert ja der gesamte Journalismus. Wenn man schreibt „Es gibt sehr gastfreundschaftliche Menschen in Isfahan“, dann ist das keine Nachricht. Aber wenn man schreiben kann, „die bauen dort an der Atombombe irgendwo nördlich von Teheran in einem unterirdischen Versteck“, dann ist das eine Nachricht. Ich glaube, das gilt gar nicht nur für den Iran, dass man öfter nur die Katastrophen oder die negativen Dinge mitbekommt. Afrika ist auch ein gutes Beispiel. Wer nur oberflächlich die Nachrichten wahrnimmt, könnte den Eindruck erhalten, es gibt dort nur Hungersnöte und Leid. Wenn man hinfährt, zeigt sich auch ein ganz anderes Bild.

SO - FM 31

FM: Ich bin selbst erst durch den von Ihnen erwähnten Artikel von Herrn Follath auf Ihr Buch gekommen, da er in seinem Artikel auf Ihr Buch Bezug nimmt. Er hat auch versucht, diese Parallelgesellschaft, in der die jungen Menschen leben, darzustellen. Er hat die Iraner bzw. das iranische Volk als „Eine Nation zwischen Stolz und Minderwertigkeitskomplex“ beschrieben. Ich habe diese Beschreibung nicht recht verstanden. Sind Sie mit dieser Beschreibung einverstanden? Sie waren den Menschen sehr nah. Teilen Sie dieses Gefühl des Minderwertigkeitskomplexes bei den Iranern?

SO: Vielleicht ist das Wort Minderwertigkeitskomplex ein bisschen stark, weil es negativ belastet ist. Aber ich habe auf jeden Fall gesehen, dass die Leute im Iran wissen, dass ihr Land einen schlechten Ruf in der Welt hat. Das bekommen sie natürlich mit. Gleichzeitig wissen sie alle, dass ihr Land viel mehr zu bieten hat als das, worüber immer berichtet wird. Und sie sind unglaublich Stolz auf diese 3000 Jahre lange Geschichte und auf die glorreiche Vergangenheit. Es ist schließlich die erste Großmacht der Welt. Die Iraner, die ich getroffen habe, waren stets sehr interessiert daran, was ich von Ihrem Land halte. Ich musste auf diese Fragen nicht lügen und konnte immer problemlos sagen, dass es einer meiner tollsten Reisen überhaupt ist und ich die Iraner sehr schätze.

Wie gesagt, ich glaube dass dieser Ausdruck „Minderwertigkeitskomplex“ ein bisschen zu stark ist. Dennoch gibt es schon das Bewusstsein und den Willen, der Welt zu zeigen, dass das Land anders ist, als es sich die meisten Menschen vorstellen. Ich habe das auch daran gemerkt, dass mich viele bestärkt haben, dieses Buch zu schreiben. Viele meinten, „Bitte erzähl dem Leser im Westen, wie der Alltag hier wirklich ist!“

FM: Herr Orth, kommen wir wieder zurück auf Ihre Gastgeber. Sie hatten einen Gastgeber im Iran, Reza, der sehr viel mit dem Thema Couchsurfing beschäftigt war. Ihren Beschreibungen zufolge ist Reza ein Mensch, der sich sehr für die Geschichte und die Dichter und Denker des Iran interessiert. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, seinen Gästen auch diese Aspekte des Irans zu vermitteln. In meinen Augen hat er sein eigenes Leben für diese Sache geopfert, er hat kein anderes Leben. „Samstags Hafiz-Abend, Sonntags Firdausi-Treffen, Montags Saadi-Gedichte“ und Khayam Poesie vergisst er auch nicht. Ab und zu kocht er auch für seine Gäste, gibt kostenlosen Englischunterricht, bringt seine ausländischen Gäste zu der Schule, an der afghanische Flüchtlingskinder unterrichtet werden. Er zeigt ein sehr großes Engagement.

Wie fanden Sie seine Antwort auf Ihre Frage, „ob er Probleme mit dem Gesetz hatte wegen der vielen Treffen und Gäste“. Denn er hatte schon oft Kontakt mit der Polizei. Er antwortete, dass Mitarbeiter vom Tourismusministerium eigentlich nicht gegen das Couchsurfing seien. Vielmehr suchten sie mit ihm eine Lösung, wie man diese Art von Tourismus für die Polizei akzeptabel machen könnte. Wie finden Sie diese Antwort?

SO: Reza hat mir erzählt, dass er schon mehrfach mit der Polizei zu tun hatte. Er führte regelmäßig Diskussionen mit dem Tourismusministerium darüber, wie man das Couchsurfing so gestalten könnte, dass es nicht gegen die Regeln verstößt. Er setzte sich sehr für diese Idee ein. Denn zurzeit halten sich viele nicht an das Gesetz, sich innerhalb von 24 Stunden bei der Polizei zu melden, wenn sie privat unterkommen. Reza hatte dem Ministerium vorgeschlagen, dass die ausländischen Gäste so registriert werden, wie man es aus den Hotels kennt, wo man seinen Pass auch zur Registrierung vorzeigen muss. Zum Beispiel könnten die Couchsurfer auch über ihre Pässen online registriert werden, damit sie für die Behörden auffindbar sind. Das würde ihnen eine gewisse Beruhigung verschaffen.

FM: Ich habe neulich eine Dokumentation gesehen, welche im Zusammenhang zu Rezas Erlebnissen mit dem Ministerium steht. In dieser Dokumentation wurde über eine junge Musikerin berichtet, die mit Hilfe einiger iranischen Künstler und von Künstlern aus Frankreich versuchte, ein Konzert zu veranstalten. Auf diesem Konzert sollten nur Frauen singen. Sie wissen ja, dass dies im Iran normalerweise verboten ist. Jedenfalls stand diese junge Frau deswegen über mehrere Monate mit verschiedenen Ministerien und Behörden im Kontakt. Zu Beginn stellten sich die Behörden noch quer und bereiteten der Musikerin immer neue Hindernisse, auch noch dann, als ihre französischen Kollegen bereits im Iran waren. Doch zum Schluss konnte sie sich durchsetzen und dieses Konzert fand tatsächlich statt. Dieser Film ist wirklich interessant. Ähnliche Legalisierungsbemühungen nimmt auch Reza im Hinblick auf das Couchsurfing vor.

Diese Zusammenhänge zeigen, dass die jungen Menschen im Iran bereit sind, große Anstrengungen auf sich nehmen, um ihr Land friedlich zu ändern, so mühsam es auch sein mag. Meinen Sie, dass die jungen Iraner es auf diesem Wege schaffen werden, die iranische Regierung zu einem Umdenken zu bewegen und den Iran zu verändern?

SO: Ich habe auf jeden Fall viel Hoffnung. Allein schon wegen der großen Zahl junger Menschen. Denn ungefähr zwei Drittel sind unter 30. Ich hatte den Eindruck, dass viele von ihnen etwas verändern wollen. Ich glaube nicht, dass es ein Staat auf Dauer schaffen kann, eine so große Zahl von Menschen so stark zu unterdrücken. Also irgendwelche Zugeständnisse müssen dann irgendwann gemacht werden.

Was man jetzt schon sieht, ist dass die Leute ihre Freiheiten im Digitalen ausleben: Sie flirten per SMS, sie posten bei Facebook Dinge und Fotos, die sie sich sonst vielleicht nicht trauen würden, zu veröffentlichen. Da gibt es schon so einen gewissen Spielraum, wo man mehr darf als im richtigen Leben auf der Straße. Da sehe ich schon eine Entwicklung, die zu einer Veränderung führen kann. Ich glaube, dass sie ihre Freiheiten irgendwann noch viel stärker einfordern werden, auch im richtigen Leben sozusagen.

FM: Man kann schon sagen, dass sie von dem Iran, den Menschen und der Gastfreundschaft in den höchsten Tönen sprechen. Gibt es etwas, was Sie von dieser Reise für sich mitgenommen haben oder als so positive Eigenschaft für sich persönlich sehen, dass Sie diese selber angenommen haben?

SO: Ich glaube, ein guter Gastgeber zu sein, ist schon eine Qualität, die man sich am besten von Leuten abgucken kann, die darin von Natur aus und vielleicht auch von der Erziehung her absolute Profis sind. Ich hoffe sehr, dass ich das selber so hinbekomme, wenn ich Couchsurfing-Gäste zu Besuch habe.

Eine andere Sache, die ich noch mitgenommen habe, ist, dass ich die Freiheiten, die wir hier haben, noch viel mehr schätze. Man kann hier einfach sagen, was man denkt und muss keine Angst haben, dass die Polizei einem Probleme macht, ohne dass man sich etwas vorzuwerfen hat. Das ist ein wahnsinniger Luxus.

Im Iran gehen die Leute nach einem Autounfall oft nicht zur Polizei, weil sie dadurch noch mehr Ärger befürchten. Sie klären das lieber untereinander. Hier kann man im Grunde erstmal darauf vertrauen: wenn ich nichts Schlimmes mache, dann droht mir vom Gesetz auch kein Ärger. Das ist für uns hier so alltäglich und das lernt man dann erstmal zu schätzen, wenn man es auch anders erlebt hat.

FM: Herr Orth, kommen wir zur letzten Frage.

Über ihr Buch wurden einige scharfe Artikel auf den Homepages von Anhängern des iranischen Regimes veröffentlicht. Einige religiöse Kräfte im Iran waren besonders wütend auf Ihre Berichte und über das Verhalten und den Lebensstil der iranischen Jugend. Meinen Sie, dass Sie wieder so einfach in den Iran reisen können?

SO: Nein, ich werde leider erstmal nicht wieder hinfahren können.

FM: Herr Orth, ich bedanke mich sehr für das Interview.